Der Wert eines Unternehmens richtet sich nach dem Diskontierungsfaktor und nach den zukünftigen Zahlungen von Einnahmeüberschüssen an die Kapitalgeber.
Vor Prognose der relevanten Positionen und zur Würdigung von Finanzplänen zur Herleitung dieser Positionen sollte die Finanzhistorie des Unternehmens betrachtet werden.
Historische Finanzdaten sind insbesondere bei etablierten Unternehmen und Märkten bedeutsam, aber auch bei Wachstumsunternehmen interessiert mindestens die jüngere Vergangenheit.
GuV, Bilanz und Cashflow der letzten 5 Jahre (besser 10 oder gar 15 Jahre) sollten mit den wesentlichen Zeilen aufbereitet vorliegen.
Historische Finanzdaten sind grundsätzlich den öffentlich verfügbaren Geschäftsberichten, Halbjahres- oder Quartalsberichten der Unternehmen zu entnehmen (meist unter „Investor Relations“ im Internetauftritt).
Übersichten können diversen Internetportalen entnommen werden, beispielsweise bietet Yahoo Finance kostenlos historische Daten zu GuV, Bilanz und Cashflows.
Die Finanzindustrie arbeitet mit Datenbanken und Dienstleistern, die neben den Finanzdaten der Unternehmen aktuelle Kapitalmarktdaten zur Verfügung stellen. Bedeutend sind etablierte Anbieter wie Bloomberg, Factset, Refinitiv oder Standard & Poors.
Einen Überblick für Unternehmens- und Finanzdaten bietet z.B. die Universität Hamburg unter: https://www.wiso.uni-hamburg.de/bibliothek/recherche/datenbanken/unternehmensdaten.html
Erste Unternehmen bieten Finanzdaten in EXCEL an, siehe Fink Merck. https://www.merckgroup.com/de/investors/reports-and-financials/financials.html
Der Blick auf das Wesentliche
Wird die Unternehmensbewertung in einer anderen Währung als die Währung der historischen Finanzdaten durchgeführt, sind die historischen Finanzdaten umzurechnen. Hierbei sind historische Umrechnungskurse (zum Jahresende) zu empfehlen, nicht der aktuelle Umrechnungskurs.
Um einen hohen Zeitaufwand und manuelle Übertragungsfehler zu vermeiden, empfiehlt sich ein Download historischer Daten in EXCEL sofern die verwendete Datenquelle dies ermöglicht.
Es gibt Datenquellen, die Positionen („Line Items“) über verschiedene internationale Rechnungslegungsstandards und über Ländergrenzen hinweg zu standardisieren.
Insofern ist es möglich, dass einzelne GuV-, Bilanz- oder Cashflow-Positionen aus den veröffentlichten Jahres- oder Quartalsberichten nicht unmittelbar mit den Angaben im Internet abgeglichen werden können. Positionen wie „EBIT“, „EBITDA“ oder „Free Cashflow“ können unterschiedlich definiert sein.
Bedeutsam ist an dieser Stelle, dass das Bewertungsmodell konsistent bleibt und Positionen immer gleich definiert sind. Gute Quellen ermöglichen zudem eine Brücke zu den Angaben in den offiziellen Berichten.
Bei der Aufbereitung historischer Finanzdaten sollte nicht in eine zu ausgiebige Finanzanalyse verfallen werden. Der Blick für das Bewertungsrelevante ist zu schärfen, bevor der Wald vor lauter Bäumen verschwindet.
Eine einfach strukturierte Übersicht zur Entwicklung von GuV und Bilanz reichen für eine intrinsische Unternehmensbewertung aus. Es geht nicht um Controlling, es geht um Bewertung.
Darüber hinaus lohnt ein Blick in das „Cashflow Statement“, um historische Ausgaben für Investitionen, Abschreibungen, die Entwicklung von Umlaufvermögen und Kapitalmaßnahmen zu erkennen.
Definitionen
EBIT steht für “Earnings Before Interest & Taxes”.
Diese Ergebniszeile in der GuV inkludiert die operativen Erlöse abzüglich der operativen Aufwendungen einer Abrechnungsperiode.
Unregelmäßige oder gar einmalige Erlöse und Aufwendungen bleiben unberücksichtigt, wie z.B. Aufwendungen für Fusionen und Restrukturierungen, Erträge oder Aufwendungen aus Rechtsstreitigkeiten oder Erträge oder Aufwendungen aus dem Verkauf von Anlagevermögen (über oder unter Buchwert).
EBIT definiert insofern das normalisierte operative Ergebnis eines Unternehmens vor Zins- und Steueraufwendungen und ist damit die bedeutendste Ergebniszeile zur Beurteilung der Ertragskraft bestehender und als fortlaufend unterstellter Geschäftsaktivitäten eines Unternehmens.
Neben Zins- und Steueraufwendungen sollte EBIT folgende Positionen ausschließen: – Erträge oder Aufwendungen aus der Bewertung von Firmenwerten (Impairment of Goodwill) – Erträge oder Aufwendungen aus dem Verkauf von materiellem oder immateriellem Anlagevermögen (Gain/Loss on Sale of Assets & Investments) – Aufwendungen für Fusionen und Restrukturierungen (Merger & Related Restructuring Charges) – Erworbene Entwicklungs- und Forschungskosten (In Process R & D Expenses) – Sonderabschreibungen (Asset Write-down) – Erträge oder Aufwendungen aus Rechtsstreitigkeiten oder Versicherungsfällen (Legal Settlements) – Erträge oder Aufwendungen aus eingestellten Geschäftsbereichen (Discontinued Operations) – Sonstige einmalige oder außergewöhnliche Erträge und Aufwendungen
EBITDA steht für “Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation & Amortization”.
EBITDA ist eine in den Rechnungslegungsvorschriften nicht eindeutig definierte Ergebniszeile, vielmehr wird EBITDA durch eine Addition von Abschreibungen und Amortisation auf das EBIT von den Unternehmen und Analysten hergeleitet.
Hierbei kann der Umfang der zu berücksichtigenden Abschreibungen und Amortisation sehr unterschiedlich ausfallen. Die Jungheinrich AG in Hamburg bietet ein gutes Beispiel:
Das EBIT per 31.12.2017 der Jungheinrich AG betrug EUR 260 Mio. Abschreibungen und Amortisation im GJ 2017 betrugen laut Kapitalflussrechnung EUR 64,9 Mio. Einige Datenquellen berechnen demnach ein EBITDA in Höhe von EUR 324,9 Mio. Das Unternehmen selbst berichtet ein EBITDA in Höhe von EUR 543 Mio. (Jahresbericht Seite 151).
Der erstaunlich hohe Unterschied liegt an den Abschreibungen auf Leasinggegenstände, die im vorliegenden Fall nicht in den Abschreibungen auf das materielle und immaterielle Anlagevermögen der Kapitalflussrechnung enthalten sind (vielmehr Sonstige Amortisation).
Bei der Betrachtung von EBITDA empfiehlt sich daher immer ein Blick auf sämtliche Abschreibungen und Amortisationen (in der Kapitalflussrechnung, da in der GuV meist nicht erkennbar). Entlang der Logik des EBIT sollten sämtliche operativen Abschreibungen und Amortisationen, die weder einmaligen oder außergewöhnlichen Charakter haben, zur Berechnung des EBITDA berücksichtigt werden.
Je unterschiedlicher EBITDA-Angaben ausfallen, desto mehr sollte sich auf eine Prognose von EBIT im Rahmen der Unternehmensbewertung konzentriert werden (EBITDA ggf. gar nicht betrachten).
Nachfolgende Abschreibungen und Amortisationen werden dem EBIT zur Berechnung des EBITDA vielfach nicht hinzugerechnet: – Amortisation von Softwareentwicklungskosten („Software Development Costs”) – Vermietetes Anlagevermögen („Rental Equipment, including fixed assets leased out to clients”) – Amortisation von sog. „Pre-Publishing Costs“
Der zweite Spiegelstrich bewirkt unterschiedliche Sichtweisen wie im Fall Jungheinrich, da das Unternehmen im erheblichen Umfang Anlagevermögen verleast.
Ein ähnliches Problem würde aber z.B. bei Fluggesellschaften auftauchen, wenn Abschreibungen auf Flugzeuge im operativen Leasing Teil der „Cost of Goods Sold“ sind, denn schließlich handelt es sich um nicht auszahlungswirksamen Aufwand, der offenkundig nicht in den Abschreibungen erkennbar ist.
Sofern keine detaillierten Aufschlüsselungen vorliegen, sollte EBITDA durch eine Addition von Abschreibungen auf materielles Anlagevermögen und Amortisation auf immaterielles Anlagevermögen und zusätzlicher sonstiger Amortisation („Other Amortization”) gemäß der Kapitalflussrechnung auf das EBIT berechnet werden. Erkennbare Sonderabschreibungen sind hingegen nicht zu berücksichtigen.
EBITDA ist demnach eine Größe zur Beurteilung eines normalisierten operativen Ergebnisses vor Zinsaufwendungen, Steueraufwendungen, Abschreibungen und Amortisation.
EBITDA ist erfolgsorientiert (GuV!) und gerade nicht mit dem operativen Cashflow eines Unternehmens vergleichbar. Dies ist ein Fehler, der gerade im deutschen Mittelstand unentwegt zu erleben ist.
Herleitung der aktuellen Ertragskraft
Der zuletzt verfügbare Jahresabschluss und damit die aktuell verfügbaren Daten für ein vollständiges Geschäftsjahr eines Unternehmens können veraltet sein.
Ende Februar beispielsweise, vor Veröffentlichung des Jahresabschlusses des abgelaufenen Geschäftsjahres (hier als Geschäftsjahr unterstellt), sind die verfügbaren Finanzdaten aus dem „alten“ Jahresabschluss bereits 14 Monate alt, viel zu alt für eine Verwendung als Basis zur Prognose zukünftiger Jahre.
Vor diesem Hintergrund sind die Finanzdaten der letzten 12 Monate auf Basis der aktuell verfügbaren Monats- oder Quartalsberichte zusammenzutragen. Das „Basisjahr“ muss daher nicht mit dem Kalenderjahr oder dem Geschäftsjahr eines Unternehmens übereinstimmen, vielmehr die letzten vier verfügbaren Quartale abbilden.
Die Logik stellt darauf ab, dass die Daten aus den zuletzt verfügbaren Quartalsberichten die Daten aus den selben Quartalen des Vorjahres ersetzen („trailing results“ oder „last twelve months“ oder kurz „LTM“).
Bewertungsmodelle sollten nach Veröffentlichung neuer Quartalsberichte aktualisiert werden. Neue Quartalszahlen sind ein Grund für Kursbewegungen an den Aktienmärkten.
Es kann vorkommen, dass einige Bilanzdaten oder ein umfängliches „Cashflow-Statement“ nur zum Halbjahr oder vereinzelt gar ausschließlich im Jahresabschluss veröffentlicht werden. Es sind immer die zuletzt verfügbaren Daten zu verwenden.
Während sich die Marktkapitalisierung eines Unternehmens und die Parameter zur Berechnung der gewichteten Kapitalkosten quasi minütlich ändern und über diverse Portale stets aktuell zur Verfügung stehen, liegen die Finanzdaten eines Unternehmens immer nur historisch vor.
Mit der vorgenannten Inkonsistenz von Daten muss und kann eine Unternehmensbewertung umgehen. Beim Aktienmarkt kommt hinzu, dass sämtliche Marktteilnehmer auf die öffentlich verfügbaren Zahlen angewiesen sind und insofern kein Konflikt besteht.
Aus Bewertungssicht wäre es natürlich hilfreich, besondere Ereignisse mit Tragkraft frühzeitiger als der Markt zu erfahren. Sodann bewegen wir uns aber im Bereich der adhoc-Publizitätspflicht und dem strafrechtlichen Verbot, Insiderinformationen auszunutzen.
Die Erfahrung lehrt, dass adhoc-Mitteilungen einen Aktienkurs kräftig bewegen können. Oftmals stellt sich aber die Frage, ob die Nachricht merkliche Auswirkungen auf die langfristig zu erwartenden Cashflows oder das Risiko hat. Gerade für diese Situationen hilft intrinsische Unternehmensbewertung Perspektive einzunehmen und ggf. ergeben sich Kauf- oder Verkaufsgelegenheiten.
Bewertungsrelevante Fragestellungen
Liegt die Finanzhistorie aufbereitet vor, sind für eine Unternehmensbewertung relevante Zusammenhänge und Entwicklungen zu erfassen.
Für ein DCF-Modell ist gerade nicht die oft zitierte Fülle an Kennzahlen erforderlich, vielmehr ist sich auf wesentliche Fragen zu konzentrieren, insbesondere: 1. Wie stabil ist die Ertragskraft ? 2. Wie lauten die historischen Wachstumsraten (Umsatz, EBIT) ? 3. Welche Veränderungen sind in den Margen erkennbar ? 4. Gibt es besondere Ausreißer ? 5. Wie hoch war die jährliche Steuerquote ? 6. Wie entwickelte sich das Ergebnis pro Aktie und wieviel wurde ausgeschüttet ? 7. Wie entwickelten sich das Anlage- und Umlaufvermögen ? 8. Wie entwickelte sich das Eigenkapital ? 9. Wie ist das Unternehmen finanziert ? 10. Wieviel Cashflow wurde für den Aufbau von Umlaufvermögen verwendet ? 11. Wieviel wurde investiert ? 12. Gab es besondere Kapitalmaßnahmen ?